ehemaliges "Lehngericht" Burkhardtsdorf

Heimatgeschichte – Das Lehngericht

An jenem Platze, wo heute unser Rathaus und die Grundschule stehen, befand sich früher das Lehngericht von Burkhardtsdorf.

Lehngericht oder Erblehngericht hießen im Mittelalter und in der frühen Neuzeit der Sitz des Richters, also jenes Mitgliedes der dörflichen Gemeinde, welches dem Dorfgericht vorstand. Zum Lehngericht oder Richtergut gehörte meistens noch ein ordentliches Stück Land. Häufig waren mit dem Richteramt auch das Schankrecht und das Braurecht verbunden. Deshalb heißen noch heute in nicht wenigen Dörfern Gaststätten Erbgericht, Lehngericht oder Brauschänke.

Das Richteramt war in ältester Zeit ein sogenanntes walzendes Gericht, d. h. es wurde von Gut zu Gut gegeben und jeder hatte die Aussicht auf das Richteramt. Erst in späteren Jahren entstand die Patrimonalgerichtsbarkeit, hier wurde das Amt an ein Gut gebunden. Wer dieses Gut in Lehen gereicht bekam, war der Lehnrichter. Erben konnte man das Gut, aber nicht das Amt. Das Richteramt war also nicht an eine Familie gekoppelt, konnte demzufolge nicht vererbt werden.

Für Burkhardtsdorf ist das Lehngericht in den Gerichtsbüchern seit 1618 nachweisbar. Dort steht sinngemäß geschrieben:
„Nach Absterben Samuel Sommers, Erblehnrichters zu Burkhardtsdorf, wird mit Zustimmung seiner beiden Töchter das Richtergut, zwischen Pfarrgut und Georg Viertels Garten, dem Bendix Clemm, dieser Zeit Richter und itzo erwähnter Töchter Stiefvater, für 3300 fl. auf 18 Jahr widerruflich verkauft. - 12.8.1618“

Der Verkauf erfolgte hier also innerhalb der Familie des verstorbenen Lehnrichters, denn seine Witwe heiratete einfach den Nachfolger ihres verstorbenen Ehegatten.

Auch auf einer Karte von 1620 ist das „Gericht“ schon eingezeichnet, es befand sich unterhalb der Kirche und ist bezeichnet mit „Richters Hoff“.


(Foto 1: älteste Darstellung des Lehngerichts, Sächs. Staatsarchiv_12884 Katen und Risse, Schrank 3, Fach 37, Nr. 12 Bl.Aa (MF17858)

Die  Gebäudesubstanz hat sich innerhalb dieser 400 Jahre bestimmt mehrfach verändert, es wurde abgerissen und neu gebaut.

In den Gebäuden des Burkhardtsdorfer Lehngerichts wurden zum Beispiel im Jahre 1733 Carl Christian und im Jahre 1738 Johann Georg Canzler, beides Söhne
des damaligen Lehnrichters Johann Georg Canzler geboren.

Auf einer Zeichnung von 1793 des Lehrers Karl Ernst Trautsch’s ist das Lehngericht als erste bildliche Darstellung zu erkennen.


(Foto 2: Lehngericht auf einer Zeichnung von 1739 von Carl Ernst Trautsch, Bildarchiv AG Ortschronik)

Eine genaue Beschreibung der Gebäude des Lehngerichts ist von 1839 vorhanden. Das Burkhardtsdorfer Lehngericht bestand aus mehreren Gebäuden. 
Steht man auf dem Marktplatz und schaut in Richtung Osten, ist der Beschrieb folgender: 
•         das Wohnhaus mit eingebautem Zuchtviehstalle,
•         das Pferdestallgebäude links des Wohnhauses,
•         das Wohn- und Schuppengebäude dem Wohnhause gegenüber,
•         die Scheune rechts des Wohnhauses.


(Foto 3: Eintrag des Lehngerichts im Entwurf zum Brandkataster von 1839, Sächs. Staatsarchiv Chemnitz)

Das Hauptgebäude (Wohnhaus mit eingebautem Zuchtviehstall) stand dort, wo sich heute das Rathaus befindet. Es war nach der Jahreszahl über der Tür im Jahre 1812 erbaut worden und beherbergte in dem der Straße zugewandten Teil am Giebel Wohnräume, darunter die stattliche Gutsstube. Der größere, hintere Teil, vom ersteren durch einen geräumigen, steingepflasterten Hausflur mit großem Wassertrog getrennt, war zur Stallung ausgebaut und diente zur Unterbringung eines umfangreichen Rinderbestandes. Der Eingang zum Hause lag an der Hofseite. Nach alter Art war an der Tür ein kräftiger Hammer befestigt, der nach dem Aufheben gegen das Beschläge fiel und die Bewohner des Hauses wecken konnte. Besitzer des Lehngerichts war lange Zeit die Familie der Lehnrichter Eckhardt.


(Foto 4: Hauptgebäude des Lehngerichts, Bildarchiv AG Ortschronik)

Das Pferdestallgebäude links des Wohnhauses ist jenes, wo heute die neue Grundschule steht. Es war laut Inschrift auf dem Türsturz im Jahre 1816 erbaut worden und trug die Initialen CFE und JGC, was wohl für Christian Friedrich Eckhardt und Johann Georg Canzler steht.


(Foto 5: ehemaliges Pferdestallgebäude zum Kinderfest 1938, Bildarchiv AG Ortschronik)


(Foto 6: ehemaliges Pferdestallgebäude des Lehngerichts, Bildarchiv AG Ortschronik)

Vom Wohn- und Schuppengebäude exstiert kein Foto. Es könnte an der Stelle des jetzigen Wohnhauses Markt 4 gestanden haben und um 1880 neu aufgebaut worden sein.

Die Scheune, rechts des Wohnhauses war steinern erbaut und hatte ihren Platz an der Straße hin bis dicht zum Gasthof "Zur Sonne". Dies könnte jenes Gebäude sein, welches sich auf  der Zeichnung von Karl Ernst Trautzsch von 1793 rechts vor dem Hauptgebäude des Lehngerichts befand und die beiden großen Toreinfahrten hatte.

Nach Einführung der Landgemeindeordnung von 1838 wurde die Lehnsherrschaft abgeschafft und die Gebäude des Lehngerichts 1872/73 durch den Aufkäufer Carl Heinrich Hähnel aus Schwarzenberg zerlegt und verkauft. Die einzelnen Gebäude erhielten somit neue Eigentümer.

Im Hauptgebäude nahm das Gewerbe immer größeren Raum ein. Dorfaufwärts wurden Läden, z. B. ein Filzschuh- und Schneidergeschäft, ein Klempner, eine Schnittwarenhandlung eingerichtet. Daneben entstanden Wohnungen. Das Lehngericht hatte also damals wahrscheinlich mehr Läden als Burkhardtsdorf im Jahre 2022.

Der entgegengesetzte, nach dem Hofe zu gerichtete Teil des Hauses wurde durch Hermann Seidel sen. für die Strumpfwirkerei eingerichtet. Sein Sohn, Friedrich Hermann Seidel, war der Geschäftsführer. Beide wohnten auch in diesem Gebäude.